Von Babyboomern zu Millennials

Stabwechsel im Wertewandel

 
 
Fassung der Key Note von Dr. Elke Böckstiegel anlässlich des Aktionstags Unternehmensnachfolge am längsten Tag des Jahres 2023 der IHK Halle Dessau am 21.6.2023
 
Viele glauben, dass
•für den Stabwechsel das Unternehmen nur kurzfristig hübsch gemacht werden muss
•beim Stabwechsel ein riesiger Wertewandel überbrückt werden muss
•ohnehin alles schwierig ist, „weil die Welt halt so ist“
 
Der Schein trügt!
 
1. Unternehmen müssen sich nur kurzfristig hübsch machen
 
Das „hübsch machen“ ist so eine Legende aus der M&A-Welt, also der Welt der Unternehmensverkäufe, Börsengänge und Übernahmen.
Die Pferdehändler haben früher einen Trick angewendet: Vor Verkauf das Fell färben und bürsten, damit der Preis nach oben geht. Darauf haben die Pferdekäufer nach untrüglichen Merkmalen für gesunde, leistungsfähige Pferde geschaut und ihnen sprichwörtlich ins Maul geschaut. So haben sie den Gesundheitszustand des Pferdes deutlich besser einschätzen können.
Unternehmensübernehmer sind auch nicht dümmer als traditionelle Pferdekäufer. Auch wenn die Merkmale, woran man angeblich die Gesundheit eines Unternehmens erkennt, vielfältiger sind. Welche Kennzahlen sind wichtig und welche sind leicht zu frisieren?
In der Welt der größeren Unternehmen sind das so Aktionen wie den „Headcount“ senken, sprich Leute zu entlassen, für trendige Themen Stabsstellen aufzusetzen und überhaupt die Verpackung aufzuhübschen.
Schon immer wurde dadurch oft die Substanz des Unternehmens beschädigt. Aber selbst wenn es klappt, mündet das bloß im Nachgang in einen riesigen Streit. Das ist also  alles keine wirklich kluges Vorgehen.
Denn nicht nur in der Schönheitsindustrie gilt der alte Slogan „Schönheit kommt von innen“. Natürlich müssen auch ein paar Eckdaten stimmen, aber ob das Unternehmen „von innen schön“ ist, ist langfristig das Entscheidende. Und woran macht man das fest, ohne den Laden Ewigkeiten zu kennen? Die bündigste Antwort habe ich letztens von einer Ihrer Kolleginnen gehört: Schau auf den „Spirit“ des Unternehmens. Wenn der stark ist und zu Dir passt, kannst Du übernehmen, sonst lass unbedingt „die Finger weg“.
Wir nennen den Spirit das Unternehmensanliegen. Warum gibt es das Unternehmen, wofür steht es? Zu welchem Zweck wurde es gegründet? Wird dieser Zweck heute noch gelebt, täglich an jedem Arbeitsplatz? Gehen die Leute gerne zur Arbeit? Sind sie stolz auf ihre Arbeit und ihr Unternehmen? Ist es ihnen ein Herzensanliegen, was sie da tun?
Viele glauben, das würde es nur bei besonders spannenden oder ethisch wertvollen Tätigkeiten geben. Irrtum! Ich kenne stolze Müllmänner, glückliche Schrottarbeiter, die für ihren Laden durchs Feuer gehen würden, fröhliche Arbeiter am Band und erfüllte Mitarbeiter in der harten Altenpflege. Genauso wie frustrierte Top-Manager, Professoren, Politiker, die mächtige, gut bezahlte und spannende Positionen haben. Sie leiden jedoch so unter der Sinnentleertheit ihrer Arbeit, dass sie sich in Scharen auf schlecht bezahlte Jobs bei NGOs bewerben, um in ihrem Leben endlich wieder etwas sinnhaftes zu tun.
Also: Kurzfristig hübsch machen, ist kein schlauer Weg, auf den Unternehmensspirit setzen schon eher.
Das führt uns zum zweiten Thema, denn die Frage ist: Was ist ein „guter“ Unternehmensspirit und wie stark ist die Bewertung, was „gut“ ist, zwischen den Generationen im Wandel.
 

2. Wertewandel der Generationen
Die allgemeine Klage lautet ungefähr so:
In den nächsten Jahren hören ganz viele Unternehmer auf. Es gibt zu wenig Übernahmewillige, denn es gibt große Schwierigkeiten zwischen den Generationen. Dies entspricht der Klage der Unternehmer und Personaler generell. Die junge Generation tickt ganz schlimm, hat ganz andere Werte, was sie für den Arbeitsmarkt unbrauchbar macht.
Wirklich?
Untersuchungen zu Werten in der Arbeitswelt sind seit mindestens den 50er Jahren konstant, aber mit verschiedenem Fokus. Dies gilt für Werte wie Leistung, Motivation, Qualifikation, Sinnhaftigkeit, Selbstwirksamkeit, Gemeinwohl.[1]
Irgendwie ist das ja auch nachvollziehbar, denn am Ende sind wir alle Menschen mit sehr ähnlichen Bedürfnissen.  Auf der anderen Seite ist die Klage der älteren Generationen über die jüngeren nichts wirklich Neues sondern eher so alt wie die Menschheit selbst. Jedenfalls ist es aus dem antiken Griechenland schon sehr gut dokumentiert.
Zurück zu unseren Zeiten: Ist dann der Blickwinkel der Generationen auch nur ein Schein, der trügt? Ich meine nein, aber das was trügt, sind nicht die anderen Werten, sondern der Unterschied liegt daran, was gerade im Fokus steht.
Früher legte man den Fokus stärker auf Werte wie Leistung, Motivation, Qualifikation, heute mehr Sinnhaftigkeit, Selbstwirksamkeit und Gemeinwohl. Aber all diese Werte sind immer schon da gewesen. Die gute Nachricht ist: So unüberbrückbar wie es scheint, ist es nicht.
Die Gründe für den Fokuswechsel liegen im Zeitgeist und Kontext:
Die Babyboomer sind damit aufgewachsen, dass sie sehr viele sind und miteinander in harter Konkurrenz um Jobs stehen. Sie hatten vergleichsweise wenig Vermögen im Hintergrund.
Die Millenials und GenZ sind damit aufgewachsen, dass sie wenige sind, dass man sie braucht, sie sich die Jobs aussuchen können. Sie haben oft guter Vermögenspuffer im Hintergrund.
Es hat eine Machtverschiebung im Arbeitsmarkt stattgefunden.
Die Verschiebung des Wertefokus findet übrigens nicht nur zwischen den Generationen statt: In den Zentren kündigen viele Top-Leute aus Konzernen (Babyboomer), um sich selbständig zu machen, mit Dingen, die Sie für sinnvoller halten. Und das sind so viele, dass es schon wieder ein ganzen „Markt“ der Ü50 gibt…
Im Ergebnis haben die Generationen eigentlich die gleichen Grundwerte, aber eine deutliche Fokusverschiebung.
Was sind aber die Konsequenzen aus der Fokusverschiebung?  Dass, was früher „nice to have” war, ist heute essentiell:  Z.B waren gesunde Arbeitsverhältnisse früher nice to have, heute zentral. Bezahlung und Karriere waren früher zentral heute nice to have.
Alles, was heute zentral ist, muss auch in der täglichen Arbeit ankommen und verankert sein. Genauso wie die Werte von früher auch bis in die tägliche Arbeitsebene verankert wurde. Das bedeutet vor allem: Es ist mit Extraprogrammen wie Massage am Arbeitsplatz, den Extra Obstteller und die hübsche Kantine nicht getan. Es braucht echte Veränderung auf allen Ebenen bis in die Organisationskultur hinein.
Fazit: Will ein Unternehmen erfolgreich sein, ist die Umsetzung des neuen Wertefokus bis zur täglichen Arbeit essentiell…
 
3. Essentielle Aspekte für eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung
Für eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung und Nachfolge ist dieser Dreiklang essentiell:
· Zukunftsfähiges Geschäftsmodell
· Unternehmensspirit
· Führung
 
a. Zukunftsfähiges Geschäftsmodell
Das Geschäftsmodell muss zukunftsfähig sein. Hier ist die Digitalisierung extrem wichtig für die interne Organisation, aber auch als wesentlicher Bestandteil der eigenen Produkte und Leistungen. Diese sollten oft vom Digitalen her gedacht sein, nicht nur ein Ad-On (Beispiel: Auto als Kfz mit Elektronik oder als Smartphone mit Rädern). Hier sind die Vertreter älterer Generationen oft zögerlich, für die jungen Generationen ist es selbstverständlich.
Wenn das Geschäftsmodell digital durchdacht ist, sollte auch die interne Organisation hinterfragt werden, denn:
·Arbeit, die digitalisiert oder automatisiert werden kann, ist oft eine Arbeit, die von den Mitarbeiter als wenig sinnhaft oder nicht gesund betrachtet wird. Z.B. eine Arbeit am Fließband, die den ganzen Tag die gleiche Armbewegung verlangt. Oder in der Verwaltung eine Tätigkeit, die akribisches Rechnen und Sorgfalt erfordert, die ein Rechner besser machen kann. Den Arbeitnehmern die Arbeit geben, die ein Rechner nicht besser erledigen kann.
· Eine moderne digitale Arbeitswelt ist wichtig für junge Leute, die auf moderne digitale Strukturen und Denke wert legen, mit Windows XP können und wollen die nicht mehr umgehen.
 
b. Unternehmensspirit
Wir hatten ihn oben schon: Hat ein Unternehmen einen Spirit (ein sinnhaftes Unternehmensanliegen), den jeder kennt und erkennt, intern wie extern? Wird der täglich gelebt, nicht nur in Sonntagsreden verkündet?
Das passiert oft nicht von alleine und es reicht nicht aus, den Spirit in einen Slogan zu packen und überall im Unternehmen zu plakatieren. Auch die Unternehmensorganisation und -kultur müssen darauf ausgerichtet sein und den Spirit unterstützen.
Die wesentliche Frage ist hier: Und wer kümmert sich darum?  Denn wenn sich keiner kümmert, dann wird der Spirit schnell verdrängt oder überlagert durch Zahlen, Daten, Fakten, Zielen, Businessplänen….
Kümmern sollte sich die Unternehmensleitung und natürlich alle Führungskräfte. Und dieser Hinweis führt uns schon zum nächsten Punkt:
 
c. Führung
Führung bedeutet NICHT alte Führungsideen plus ein paar Goodies  (Zusatzleistungen). Sondern Umsetzung des Spirits in tägliche Führungsarbeit. Den Mitarbeitern Freiraum verschaffen, den sie entlang des Spirits selbst zu gestalten. Wie kann Führung den Mitarbeitern den Freiraum geben? Durch Vertrauen und Verantwortungsübergabe.
Reinhard Sprenger hat ein ganzes Buch darüber geschrieben: Vertrauen führt….
Und wenn das Vertrauen gegeben wird, dann folgt der zweite, fast wichtigere Schritt: Den Weg frei machen. Und damit Verantwortung geben…
Das führt im übrigen auch gleichzeitig zu mehr Gesundheit am Arbeitsplatz, denn es ist schon seit 1980er Jahre bekannt, dass Selbstwirksamkeit und Gestaltungsfreiräume der Garant für Gesundheit am Arbeitsplatz ist.
Dies alles gilt für Unternehmen generell, egal ob sie gerade gegründet wurden oder schon etabliert sind. Weil wir ja heute den Aktionstag der Unternehmensnachfolge haben, möchte ich noch etwas dazu sagen, was das speziell für die Unternehmensnachfolge bedeutet
 
4. Bedeutung für erfolgreiche Unternehmensnachfolge
Man kann nur ein Unternehmen übergeben, dass zukunftsfähig und attraktiv ist. Gerade bei Übernahme ist es wichtig, dass das Unternehmen von innen schön ist und damit ist der Dreiklang wichtig. Und er bildet sich nicht nur in den finanziellen und rechtlichen Rahmen ab.
Diese Aspekte werden vor allem in der Vorbereitung auf eine Übernahme sehr oft nicht beachtet, weil hier der Fokus fast ausschließlich auf finanziellen und rechtlichen Fragen liegt.
Und so kommen wir wieder zum Ausgangpunkt zurück: Wenn der Unternehmensspirit – das Unternehmensanliegen klar ist, dann ergeben sich hieraus alle anderen Aspekte: Geschäfstmodell, Führung und generelle Attraktivität für Übernehmer.
Also ist es extrem wichtig, den Spirit klar zu haben und das Unternehmen danach aufzubauen.
Je besser die Vorstellungen von Übergeber und Übernehmer zueinander passen, desto erfolgreicher der Übergang. Man kann das manchmal mit einigem Aufwand auch auf eigene Faust angehen. Z.B. Dachdecker, der sich erst mal ein Jahr hat anstellen lassen, ¾ Jahr mit aufs Dach und ¼ Jahr mit ins büro, bevor er übernommen hat. Bei Mitarbeiter Standing, dass er was kann, seinerseits kannte er den Laden von innen und wußte genau, was er übernimmt. Der Übergeber konnte gut abgeben, weil er wusste, in welche Hände es kommt.
Manchmal geht das nicht so aufwändig, dann ist oft Unterstützung gefragt, wie man herausbekommt, ob alles zusammenpasst. Das würde hier zu weit führen, sprechen Sie mich an...
Und wenn es über die Generationen hinweg schwierig wird und es scheint schwierig bis unüberbrückbar, dann halten Sie es einfach für möglich, dass der Schein trügt.
 
Zwischenfazit: Was braucht es, um von innen her schön zu werden? Ein bisschen Vorlauf, ein bisschen Mut und den richtigen Ansatz: Dann ist es gar nicht so schwer...
Es sei denn, in Ihrem Kopf kommt jetzt hoch:
 
Geht das wirklich oder ist die Welt halt nicht so?
Die gute Nachricht ist:
Die Welt ist auch so, denn sie zeigt in unendlichen vielen Fällen, dass es genauso geht. Dies ist gut dokumentiert in 25 Jahrgänge der Zeitschrift brandeins. Und es ist gar nicht schwierig, bringt aber unheimlich viel.
Aber eines braucht es: ein wenig Mut und Bereitschaft, die gewohnte Comfort Zone zu verlassen, für die Unternehmen wie für die Mitarbeiter.
 
Wo beginnen?
 
Finden Sie heraus, wie Ihre Welt wirklich ist....
 
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[1] BMAS Studie „Wertewelten Arbeiten 4.0.“: https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Forschungsberichte/fb-studie-wertewelten-a40.html

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