Der ehrbare Kaufmann heute: Freiheit in Verbundenheit

 

von Dr. Elke Böckstiegel

 

(erschienen als "Zwischenruf" aus dem Arbeitskreis Wirtschaft und Ethik des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller e.V. - VBKI - in: VBKI-Spiegel Nr. 233, Q1/2014, S. 48/49)

 

Im Arbeitskreis Wirtschaft und Ethik stellen wir uns die Frage, wie die „VBKI Leitsätze eines ehrbaren Wirtschaftshandelns“ über eine Standortbestimmung hinaus von den Mitgliedern umgesetzt werden. Wir hören, dass die Leitsätze in der Sache bejaht werden, ihre Anwendung im Arbeitsalltag jedoch oft bei einem „Ja, ich müsste, aber...“ stecken bleibt. Woran liegt das?

 

Durch die Begrenzung auf 10 Leitsätze entsteht bei Vielen der Eindruck, dies seien die „10 Gebote des ehrbaren Wirtschaftshandelns“. Historisch galten für den ehrbaren Kaufmann tatsächlich strenge Gebote. Heute lehnen jedoch Viele „Gebote“ als moralinsauer und normativen Zwang als Beschneidung der eigenen unternehmerischen Freiheit ab.

 

Vielleicht hilft ein ganzheitlicher Blick auf die Leitsätze diesen Widerspruch aufzulösen. Die Leitsätze definieren sich als „zeitlos gültige moralische Normen“, die das Zusammenspiel von Menschen mit ihrem soziales, ökonomisches oder ökologisches Umfeld regeln. Früher war diese Einbettung selbstverständlich; sie wurde durch strenge soziale Normen geregelt und sanktioniert. Heute hat sich dieses Zusammenspiel individualisiert und wird systemisch-ganzheitlich beschrieben. Wir formulieren diese Verbundenheit jetzt so: Jeder Mensch steht in seinem Umfeld, auf das er wirkt, wie auch dieses auf ihn wirkt.

 

Dieses ganzheitliche Zusammenspiel der Einflussfaktoren ist uns vor allem in der Wirtschaft abhanden gekommen. In unserer komplexen, konkurrenzgetriebenen Wirtschaft werden Mensch und Umfeld getrennt voneinander gedacht und nur im Notfall miteinander in Verbindung gebracht. Unternehmen gliedern sich in hochspezialisierte, voneinander getrennte „Silos“, aus denen die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die anderen „Silos“ kaum wahrzunehmen sind. Diese Einäugigkeit begünstigt zusammen mit dem allgegenwärtigen Effizienzdruck oft „unehrenhaftes“ Verhalten.

 

Genau dem wollen die Leitsätze ausdrücklich entgegenwirken. Dabei gehen sie unausgesprochen von einem Zusammenwirken aller Einflussfaktoren aus, wie ein kleines Beispiel zeigt:

 

Bringt ein Unternehmen ein neues Produkt auf den Markt, haben hierauf folgende Faktoren Einfluss, die in Wechselwirkung stehen: Die Mitarbeiter, die das Produkt entwickeln, herstellen und vertreiben (3. Leitsatz); die Eigentümer, die mit dem Produkt einverstanden sind (5. Leitsatz); die Kunden, die das Produkt kaufen (4. Leitsatz); der Markt, der das Produkt annimmt und auf dem sich die Wettbewerber tummeln (6. Leitsatz); die Gesellschaft, die mit dem Produkt umgeht (7.- 9. Leitsatz); die Ökologie, die für die Produktion die Rohstoffe, Energie und Entsorgung bereit hält (10. Leitsatz). Dabei fordern die Leitsätze dazu auf, diese Einflüsse in möglichst hoher Verbundenheit mit dem Umfeld auszuüben, z.B. fordern sie die Achtung der Rechte und Würde anderer (3., 4. Leitsatz), die Wahrung anderer Interessen (5., 6. Leitsatz), des sozialen Friedens (9. Leitsatz) und der Umwelt (10. Leitsatz).

 

Wie kann mit diesen komplexen Einflüssen im Arbeitsalltag auf eine ethische Art und Weise aus der eigenen unternehmerischen Freiheit heraus konkret umgegangen werden? M.E. ist dies möglich, wenn der Unternehmer aus seiner Verbundenheit handelt:

 

  • Er nimmt alle Einflüsse, die auf seine konkrete Handlung wirken, in größtmöglichem Umfang wahr.
  • Er bringt die konkrete Handlung in größtmöglichen Einklang mit diesen Einflüssen.

 

Schaut man so auf die Leitsätze, geht es nicht darum, ein bestimmtes „normativ“ vorgegebenes Ergebnis zu erreichen, sondern einen Prozess zu durchlaufen, der individuelle freie Lösungen unter Einbeziehung der anderen Einflussfaktoren ermöglicht. Je besser man „frei in Verbundenheit“ handeln kann, desto besser werden auch die Ergebnisse (und desto weniger braucht es harte gesetzliche Regelungen). Aus dieser Haltung heraus fällt es vielleicht leichter zu sagen: „Ja, ich kann tatsächlich aus der eigenen Freiheit heraus immer besser im Sinne der Leitsätze handeln“.

 

Die 10 Leitsätze vom VBKI

  • Der ehrbare Kaufmann (EK) richtet sein Wirtschaften auf Dauer aus.
  • Der EK richtet sein Handeln an Tugenden aus, die langfrstiges Vertrauen schaffen.
  • Der EK achtet die Rechte und die Würde seiner Mitarbeiter und behandelt sie fair und menschlich.
  • Der EK verhält sich redlich im Geschäftsverkehr mit Kunden und Lieferanten.
  • Der EK wahrt die Interessen der Eigentümer.
  • Der EK verhält sich fair gegenüber seinen Wettbewerbern.
  • Der EK untersützt das Gemeinwohl in der Gesellschaft.
  • Der EK bedient berechtigte Interessen der Öffentlichkeit nach Information.
  • Der EK fördert die Weiterentwicklung unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung durch sein gutes Vorbild.
  • Der EK beachtet das Prinzip der ökologischen Nachhaltigkeit.

 

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